21 Jun

Der Ball ist rund – Übersetzerisches zur Fußball-WM

Moderation: Jan Schönherr

Tanja Handels las aus: John Grisham, Der Coach (Heyne 2003).

Silke Kleemann las aus: Leticia Martín, „Zwei Streifen“ in: Anita Djafari / Jürgen Boos (Hg.), Vollmond hinter fahlgelben Wolken. Autorinnen aus vier Kontinenten (Unionsverlag 2018).

Monika Köpfer las aus: J. L. Carr, Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten (Dumont 2017).

Bernadette Ott las aus: Louis-Philippe Dalembert, Die Götter reisen in der Nacht (litradukt Literatureditionen 2016).

Uschi Sturm las aus: Allison Morgan, Die fabelhaften Wünsche der Lanie Howard (Piper Taschenbuch 2016).

Ursula Wulfekamp las aus: Michael Fried, Warum Photographie als Kunst so bedeutend ist wie nie zuvor (Schirmer/Mosel 2014).

 

Das Team: Hinten v.l.n.r. Jan Schönherr, Uschi Sturm, Ursula Wulfekamp, Tanja Handels; vorne v.l.n.r. Monika Köpfer, Silke Kleemann, Bernadette Ott

 

Stimmen zum Spiel

Regel Nr. 1

Es war eine Fußball-WM-Eröffnung der anderen Art: der literarischen, und damit bei weitem eindrücklicher als die gestrige in Moskau …

Zum Abschluss eine weitere der „Kossuth’schen Regeln“ aus dem von mir vorgestellten Buch „Wie die Sinderby Wanderers den Pokal holten“ von J.L. Carr:

Regel Nr. 1

Man kann den Ball ohne Weiteres spielen, ohne auf seine Füße zu schauen. Frauen müssen beim Stricken auch nicht auf ihre Hände gucken.

(Monika Köpfer)

 

Übersetzerinnen-Power

Ein ausgesprochen abwechslungsreicher und in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerter Fußballabend der ganz anderen Art! Bemerkenswert war insbesondere die Tatsache, dass die Beiträge allesamt von ÜbersetzerINNEN stammten. Das breite Textsortenspektrum sorgte für beste Unterhaltung, von klamaukig über erhellend bis dramatisch war alles vertreten – sehr fesselnd beispielsweise die Erzählung „Zwei Streifen“ von Leticia Martín in der wunderbaren Übersetzung von Silke Kleemann.

(Uschi Sturm)

 

Best of the Ball

Das Ei ist kein Rund, trifft aber trotzdem ins Schwarze. Best of the ball mit dem Münchner Übersetzerforum, das waren (unter souveräner Spielleitung des weltgewandten Moderators Jan Schönherr): legendäre Blicke auf die Legende Zinedine Zidane (lies: FußballKUNST!) mit Ursula Wulfekamp, freudsche (?) Fehl(?)schläge auf Arm statt Ball trotz Kreolisch mit Bernadette Ott, Fremdschämen und Lachjubel mit Uschi Sturm und ihrer großartig vorgetragenen Romanheldin Lanie, ein Coach, wie er im Buche steht, mit Tanja Handels und John Grisham sowie britisches Understatement bei der Bekriegung gegnerischer Fans mit Monika Köpfer und J.L.Carr! Weltmeister wird Argentinien!

(Silke Kleemann)

 

Freundschaftsspiel mit toller Teamleistung

Eigentlich ja ‘nur’ ein Freundschaftsspiel, und trotzdem haben alle astrein abgeliefert. Kein Wunder, möchte man meinen, bei einer so hochkarätig besetzten Mannschaft, aber der letzte Schlüssel zum Erfolg war eben, dass individuelle technische Stärken und unterschiedliche Spielweisen jenseits aller Starallüren in einer hervorragenden Teamleistung umgesetzt wurden. Man darf sich also ruhig schon jetzt auf zukünftige Partien der MÜF-All-Stars freuen.

(Jan Schönherr)

 

Fußballer im Film

Ein 90-minütiger Film – A twentyfirst century portrait – ein Fußballspiel (Real Madrid vs. Villareal am 23. April 2005) – ein Fußballer (Zinédine Zidane) – zwei Künstler (Douglas Gordon und Philippe Parreno) – das alles in der Betrachtung des Kunsthistorikers Michael Fried, der sich mit der Versunkenheit des Spielers, seiner Konzentration und seiner Wahrnehmung des Publikums beschäftigt. Langweilig? Spannend!

(Ursula Wulfekamp)

 

Gelungene Eröffnungspartie

Wie schön war das: eine Partie mit zwei grundverschiedenen Sorten von Bällen – dem runden und dem eiförmigen –, die einander aufs Schönste ergänzten, sechs Spielerinnen, die vom Trainer? – Schiedsrichter? Cheerleader? Ja, was ist so ein Moderator in der Fußball-Football-Metaphorik? – die besten Vorlagen bekamen, um auf dem Spielfeld zu glänzen, ein Publikum, das mit seiner Aufmerksamkeit und Freude die Mannschaft trug und beflügelte, und nicht zuletzt großartige, spannende, vielfältige Texte, wie man sie auf dem Rasen sonst auch eher selten antrifft. Kurzum: eine gelungene Eröffnungspartie im Münchner Literaturhaus!

(Tanja Handels)

 

Und zum Schluss: ein Tor?

Hatte es denn ein Tor gegeben?, fragte ich mich, als ich am nächsten Morgen mit meiner Kaffeetasse so dasaß und über die gelesenen Texte nachsann; bis mir dann einfiel, ja, mindestens ein Tor, nämlich das schmähliche, lächerliche, das die Mannschaft meines Ich-Erzählers-als-Kind auf dem haitianischen Flughafenasphalt hatte einstecken müssen. Und in den anderen Texten? Spätestens jetzt wurde mir klar, dass ich nicht ergebnisorientiert zugehört, sondern auf alles gelauscht hatte, was an dem Abend Nebensache der schönsten Nebensache der Welt gewesen war. Sozusagen das literarische Spiel als Zugabe zum Fußballspiel, von dem Experten immer wieder mal erzählen, dass die Bewegung mit dem Fuß am Ball in der Natur überhaupt nicht vorkomme und gar nicht vorgesehen sei. Wodurch aufs Schönste belegt ist, dachte ich mir da, welch große Nähe Literatur und Fußball aufweisen, in dieser die Ordnung der Natur transzendierenden Zweckfreiheit und der Freude daran. Ein paar Tage später beobachtete ich zwei Tauben, wie sie im Zweikampf einem ballähnlichen, runden Objekt des Begehrens hinterher tippelten und trippelten. Es fehlte das Tor, deshalb konnte keine von beiden gewinnen.

(Bernadette Ott)