01 Dez.

Autor trifft Übersetzerin: Ariel Magnus und Silke Kleemann

Unter einer Schachpartie stellt man sich gemeinhin eine bedächtige Veranstaltung vor, bei der die Spieler/innen grübeln, tüfteln und konzentriert die Stirn runzeln, ehe sie schließlich langsam eine Figur bewegen. So gesehen führte der Titel dieses MÜF-Abends in die Irre, ließ sich die Lesung angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Bälle zwischen Autor und Übersetzerin hin und her flogen, doch eher mit einem Ping-Pong-Spiel vergleichen.

Entstehungsgeschichte eines Romans

sdr

Aber der Reihe nach: Der argentinische Schriftsteller Ariel Magnus – der auch selbst Übersetzer ist, unter anderem aus dem Deutschen – stellte seinen neuesten Roman Die Schachspieler von Buenos Aires vor und erzählte dazu erst einmal dessen Entstehungsgeschichte: Sein Großvater Heinz (den der Enkel nicht mehr kennengelernt hat) war vor den Nazis nach Argentinien geflohen und hatte sein Leben in deutschsprachigen Tagebüchern festgehalten. Diese in der einen oder anderen Form zu veröffentlichen, machte Ariel Magnus sich zur Aufgabe, doch die akribisch transkribierten und übersetzten Aufzeichnungen stießen bei keinem argentinischen Verlag auf Interesse. Und so entstand die Idee, sie zu fiktionalisieren, allerdings unter Einbeziehung zahlreicher anderer Quellen wie zeitgenössischer Tageszeitungen, Essays und Romane, insbesondere solcher über Schach.
In der Folge entstand der hier vorgestellte Roman, dessen Handlung vorwiegend während der achten Schacholympiade im August/September 1939 in Buenos Aires spielt. Dort traten zwar einige bedeutende Mannschaften nicht an, doch waren mit Alexander Aljechin und José Raúl Capablanca auch Größen des Spiels vertreten; bei Ariel Magnus tritt auch Mirko Czentovich an, die fiktive Hauptfigur von Stefan Zweigs Schachnovelle. Während des Turniers brach der Zweite Weltkrieg aus, was zu einigen Verwerfungen des Wettbewerbs führte. Er wurde dennoch, wenn auch mit einigen Einschränkungen, zu Ende geführt (es war der einzige deutsche Sieg bei einer Schacholympiade). Nach dem Ende des Turniers kehrten etliche Teilnehmer, insbesondere solche jüdischer Herkunft, nicht in ihre Heimatländer zurück.

Spiel mit Erfindung und Wirklichkeit

Zeitgleich mit der Olympiade der Männer fand auch die siebte Schachweltmeisterschaft der Frauen statt. Bei der wollte die ursprünglich deutsche Spielerin Sonja Graf – die in Argentinien als Staatenlose antrat – der amtierenden Weltmeisterin Vera Menchik, einer aus Russland gebürtigen Britin, den Titel abnehmen (was ihr nicht gelang). In eben diese Sonja Graf verliebt sich der Großvater des Autors, allerdings nicht in der Realität, sondern

dig

in der Fiktion. Nicht minder fiktiv sind die Gespräche, die der Autor mit seinem Großvater führt, auch wenn vieles auf tatsächliche Quellen zurückgeht. Dieses Spiel mit Erfindung und Wirklichkeit agiert auf verschiedenen Ebenen, beides verwebt sich derart gekonnt, dass eine Zuordnung schier unmöglich wird.
Dieses Problem stellte sich auch der Übersetzerin, die ihrem Autor in erstaunlich vielen Fällen nicht ohne weiteres glauben mochte, dass das, was im Roman stand, nicht etwa seiner Phantasie geschuldet, sondern ein echtes Zitat war. So war es etwa bei der Meldung einer argentinischen Tageszeitung, ausgewanderte Juden dürften gerne nach Deutschland zurückkehren, sofern sie bereit seien, in den Krieg zu ziehen.

Apokryphe Fußnoten und eine Liebeserklärung an die Übersetzerin

Über derlei strittige Punkte tauschten sich Autor und Übersetzerin in zahllosen Mails aus – allein die Frage, ob eine Frau in der Bildunterschrift einer Tageszeitung als „hässlich“

dav

bezeichnet werden darf, führte zu einem Schlagabtausch, in den schließlich auch die Lektorin einbezogen wurde. Zu guter Letzt fanden diese Überlegungen, zu pointierten und geistreichen Fußnoten verdichtet, zum Teil Eingang in den Roman – vor allem auch in die argentinische Fassung, wie Ariel Magnus erklärt. In der veröffentlichten deutschen Fassung wurden diese Fußnoten vielfach wieder gestrichen, doch Autor und Übersetzerin setzten sie an diesem Abend – gestisch ausdrucksstark unterstrichen – in Szene, das Hin und Her der Gedanken und Scherze führte die Intensität der Zusammenarbeit nachdrücklich vor Augen. Das führte dem zahlreich vertretenen Publikum nicht nur vor Augen, wie viel Arbeit in einer Übersetzung steckt, sondern auch, wie viel Spaß sie machen kann.
Und schließlich geriet der Abend auch zu einer Liebeserklärung an Silke Kleemann in ihrer Eigenschaft als Übersetzerin: Ohne sie als „Lektorin“, so der Autor, wäre das Buch niemals das geworden, was es ist.

Ursula Wulfekamp