10 Apr

Lenzlese: Die Frühlingstitel der Münchner Übersetzer*innen

Im Frühjahr erscheinen bekanntlich viele neue Bücher, darunter Übersetzungen, mit denen unsere Sprachkundigen in den Monaten zuvor ihre Tage und Nächte verbracht haben. In fertiger Gestaltung kommen die Ergebnisse jetzt endlich ans Licht oder ins Netz und können aufgeblättert und angeklickt werden.

In diesem Sinne eröffnete Tanja Handels, die Vorsitzende des MÜF, am ersten Aprilwochenende die „Lenzlese“ im Münchner Literaturhaus. Zum interessierten Publikum vor Ort gesellten sich an diesem Abend auch viele zur Mitgliederversammlung des VdÜ angereisten Kollegen und Kolleginnen.

Den Anfang machte:

Alexandra Baisch, 

die seit rund zehn Jahren aus dem Französischen, Englischen und Spanischen übersetzt, als Redakteurin arbeitet und beim Studiengang „Literarisches Übersetzen“ an der LMU mitwirkt. Alle ihre Sprachen stellen für sie eine Herausforderung dar, doch Unterschiede gibt es trotzdem: während sie sich im Französischen pudelwohl und sicher fühlt, weil sie länger in Frankreich gelebt hat, ist ihr Spanisch, das sie sich auf eigene Faust beigebracht hat, zur „Herzenssprache“ geworden. Unabhängig davon mag sie die Arbeit an Büchern, „die was mit mir machen“ und besondere Protagonisten haben, am liebsten.

Solche Helden gibt es auch in ihrer druckfrischen Romanübersetzung:

Pascal Ruter, Monsieur Bonheur geht auf Reisen, Knaur 2019

In dieser Geschichte erlebt der zehnjährige Ich-Erzähler Léonard erstaunliche Abenteuer mit seinem Großvater und ehemaligen Profiboxer Napoléon. Als dessen Heldenhaftigkeit krankheitshalber abnimmt, kehren die Rollen sich langsam um, doch die beiden wachsen umso mehr zusammen. An sprachlichen Herausforderungen mangelt es in Monsieur Bonheur geht auf Reisen nicht, denn der Roman enthält viele Witze,  Wortspiele und Namen, bei deren Übersetzung das Hirn auf Hochtouren läuft. Was stellt die Übersetzerin etwa mit dem ausgefallenen Namen „Point à la ligne“ an, den der Hund im Roman trägt? (zu Deutsch: „Punkt. Neue Zeile“): Ideen wie „Punktum“, „Doppelpunkt“, „Punktnächsterunde“ fanden bei ihr keinen rechten Anklang. Aber irgendwann kam ihr die Lösung: sie taufte den Hund kurzerhand „Punkt Ding Dong“!

Weitergeblättert wurde mit

Ursula C. Sturm,

die den Studiengang „Literarisches Übersetzen“ in München absolviert hat, seit 2003 in einer „geradlinigen Karriere“ als Übersetzerin arbeitet und dabei bis heute eine beachtliche Liste von bald 80 Titeln vorzuweisen hat! Auf die Frage, wie so eine Liste zustande komme, berichtet sie, dass sie am Anfang sehr schnell übersetzt habe und allmählich immer langsamer geworden sei, – was wohl auch daran liegt, dass sie es mittlerweile mit anspruchsvolleren Titeln zu tun hat. Ihr Roman für die Lenzlese hatte einen ganz besonderen Anspruch:

Chris Cander, Das Gewicht eines Pianos, HarperCollins 2019

In diesem Roman sind zwei Erzählerinnen, Katya aus Russland und Clara in Kalifornien, über ein Klavier miteinander verbunden. Es ist kein banales Klavier, sondern eines der Marke „Blüthner“. Das wiederum stellt die Übersetzerin vor eine besondere Herausforderung, denn sie muss sozusagen „von Null auf Hundert“ zur „Klavierbaumeisterin“ avancieren. Bei „Klavier Hirsch“ in München suchte sie Hilfe und bekam sogar den Seniorchef der illustren „Julius Blüthner Pianofortefabrik“ in Leipzig ans Telefon, der bereitwillig Auskunft erteilte. Fachbegriffe wie „Resonanzboden“, „Stimmstock“, „Stoßzungenmechanik“ und „ebonisieren“ schwirren durch die Bibliothek des Literaturhauses, bevor Uschi Sturm zwei Ausschnitte aus Das Gewicht eines Pianos vorliest, die jeweils einer der beiden Protagonistinnen gewidmet sind.

Eine weitere Übersetzerin betrat die Bühne:

Gerda Poschmann-Reichenau

ist Dramaturgin und Übersetzerin von mehr als 30 Theaterstücken. Außerdem kuratiert sie regelmäßig das Global-Stückefestival im Teamtheater, dieses Jahr mit Schwerpunkt Québec. Oft wird sie nach den Besonderheiten des Übersetzens fürs Theater gefragt: Es gehe um die gesprochene Sprache, sie müsse meist die Alltagssprache im Ohr haben, was gleichzeitig leichter und schwerer sei als literarisch erzählende Texte zu übertragen. Die Probe aufs Exempel hat sie soeben mit dem ersten Roman einer Québecer Schauspielerin und Theaterautorin gemacht, von der sie schon mehrere Stücke für Theaterverlage übersetzt hat. Diese Übersetzung ist nämlich gleichzeitig auch ihre erste Romanübersetzung:

Evelyne de la Chenelière, Das Meer, von fern, müry salzmann 2019

Der Aufbau des Romans ist komplex und erschöpft sich nicht in einer Inhaltsangabe. Er setzt sich mosaikartig aus zwei parallellaufenden inneren Monologen zusammen, und zwar die von „Pierre-und-Nicole“, die kurz vor der Trennung stehen, von ihren Freunden aber noch als Paar wahrgenommen werden. Zentrales Element im Roman ist die Sprache in ihrer ganzen Bandbreite, was gleichzeitig den Reiz, aber auch die Schwierigkeit der Übersetzung ausmacht. Denn die abwechselnden Passagen müssen entweder „ihm“ oder „ihr“ zugeordnet werden, was im Französischen z.B. im Adjektiv sofort sichtbar ist: „je suis vieux (maskulin)/vieille (feminin)“, im Deutschen hingegen nicht: „ich bin alt“ (kann beides sein). In solchen Fällen muss die Übersetzung an anderer Stelle die wichtige Information einstreuen, wer gerade spricht. So kann etwa für das Wort „enfant“ anstatt „Kind“, „Mädchen“ oder „Junge“ gewählt werden. Beim Vorlesen einer Passage über „la langue“ entfalten sich reiche Bedeutungen von „langue“ als Sprache und „langue“ als Zunge, als Organ, mit der unter anderem Sprache produziert wird. Das alles rhythmisch, vom einen ins andere fließend, – wie das Rauschen des Meers im Titel des im März erschienenen Romans.

Und zum Schluss wurde der Frühling in den Sommer verlegt:

Burkhart Kroeber

übersetzt schon seit Anfang der 70er-Jahre, vorwiegend aus dem Italienischen, und kann u.a. Umberto Eco, Italo Calvino zu „seinen“ Autoren zählen. Als erfahrener Philologe geht er auch Neuübersetzungen an, wie etwa Die Brautleute (früher: Die Verlobten) von Alessandro Manzoni. Mit einer solchen Neuübersetzung betrat er auch bei der „Lenzlese“ die Bühne:

Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Der Leopard, Piper 2019

Il Gattopardo erzählt die Geschichte des Fürsten Fabrizio di Salina aus dem sizilianischen Adel, der mit den politischen Umwälzungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts konfrontiert wird. Die Romanverfilmung 1963 durch Luchino Visconti mit Burt Lancaster als Fürst und Alain Delon als Neffe Tancredi wurde zu einem Kultklassiker des internationalen Kinos. Doch in Lampedusas Roman steckt auch nach zwei Übersetzungen (1959 und 2004 bei Piper) viel mehr Potential – vor allem viel mehr Literatur. Den Beweis dafür liefert Burkhart Kroeber mit einem sofort allgemeine Zustimmung findenden Beispiel: Der Fürst, der sich im Original als „membro della vecchia classe dirigente“ bezeichnet, wurde in der früheren Übersetzung aus den 50ern (wegen Berührungsängsten mit marxistischem Vokabular) zu „einem Glied des alten leitenden Standes“. Heute würde man ihn, sagte Kroeber, doch klar und deutlich benennen, nämlich als „Mitglied der alten herrschenden Klasse“. Weitere „Mängel“, geradezu „Entstellungen“ durch die vorigen Übersetzungen machten für Burkhart Kroeber eine Neuübersetzung notwendig, und so warf er sich 2017 begeistert dafür in die Bresche, da ja die Rechte des 1957 verstorbenen Autors frei würden – er hatte sich allerdings im Überschwang um zehn Jahre verrechnet. Das Stichjahr wäre erst 2027, doch über offene Ohren zur rechten Zeit am rechten Platz konnte er den Piper-Verlag nach einigem Hin und Her doch noch für eine Neuübersetzung gewinnen.

Hineinblättern ist noch nicht möglich, denn der Roman wird erst im Sommer erscheinen, doch eine Kostprobe daraus durften wir schon bei der Lenzlese goutieren.

Das Publikum war hingerissen!

April 2019, Birgit Leib