18 Okt

Hieronymus außer Haus – Offenes Mikro

von Katharina Martl

Zum Hieronymus-Tag am 30. September 2020 lud das Münchner Übersetzerforum seine Mitglieder in die Bibliothek des Literaturhauses zu einem Format ein, das im März 2016 schon einmal erfolgreich stattgefunden hatte: das Offene Mikro. Weiterlesen

19 Feb

Der neue Normvertrag – Ein Vortrag von RA Struppler

Seit dem 1. Juni 2019 ist der neue Normvertrag in Kraft, vereinbart zwischen dem VS in ver.di / VdÜ e.V. und dem Börsenverein des deutschen Buchhandels e.V. / Verleger-Ausschuss. Ist er den Kolleginnen und Kollegen überhaupt präsent? Was ist neu, was ist anders, und wie gehen wir beim Verhandeln mit unseren Verlagen damit um?

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30 Jan

Eduardo Halfon: Duell – Ein Abend im Instituto Cervantes

Eine Geschichte von Erlösung und Ekstase

(c) Peter-Andreas Hassiepen

Auf der Bühne sitzen drei Herren. Von links nach rechts: Luis Ruby (Übersetzer), Eduardo Halfon, (Autor) und Piero Salabè (Lektor). Was sie herführt, ist ein jüngst in deutscher Übersetzung erschienenes Buch. Was sie eint, so scherzhaft Piero Salabè über die drei Kahlköpfe, sei ganz offenkundig: derselbe Haarschnitt. Es wird nicht der letzte Witz des ebenso heiteren wie nachdenklichen Abends bleiben. Was die drei Männer womöglich ebenfalls verbindet, so führt Salabè weiter aus, sei ihre ambige Herkunft. Luis Ruby als Halbspanier, Piero Salabè als Halbitaliener und Eduardo als … ja, als was denn eigentlich? „Wer bist du, und wenn ja, wie viele?“, zitiert der Lektor einen Bestsellertitel und stellt damit eine zentrale Frage: die nach der Identität. Als guatemaltekischer Jude mit libanesischen und polnischen Wurzeln, der im Alter von zehn Jahren mit seiner Familie in die USA übersiedelte, erkennt sich Eduardo Halfon in der chamäleonartigen Anpassung des Juden aus Woody Allens Film Zelig wieder. Halte er sich in Guatemala auf, so sei er Guatemalteke, in den USA rede er wie ein Amerikaner und zu Besuch in Spanien, wechsle er automatisch in einen anderen Akzent.

Mosaikstein des Gessamtwerks

Das Buch, das er an diesem Abend vorstellt – Duell – ist sein dritter Roman, nach Der polnische Boxer und Signor Hoffman, allesamt auf Deutsch bei Hanser erschienen. Lektor Piero Salabè würdigt den Übersetzer für seine „ganz hervorragende Arbeit“ und den Autor als einen der originellsten Schriftsteller nicht nur Lateinamerikas, sondern der gesamten spanischsprachigen Literatur der Gegenwart, und tritt sogleich den Beweis an: Jedes Buch aus Halfons Feder sei ein Mosaikstein eines Gesamtwerks, immer wieder tauchen Bezüge zwischen den Erzählungen auf und es gebe je nach Land unterschiedliche Fassungen derselben. Der rote Faden in all seinen Werken: der Erzähler Eduardo. Der in allem seinem Autor gleiche, bis auf ein markantes Detail: Die Figur Eduardo raucht. Der Autor nicht. Schmunzeln im Publikum. Zudem erzähle er fast immer Episoden aus seiner eigenen bewegten Familiengeschichte. Doch der echte Eduardo weist sogleich den Verdacht, er schreibe an einer Familiensaga, von sich. Vielmehr vergleicht er sein Schreiben mit einer Theaterinszenierung, bei der sein familiärer Hintergrund die Kulisse bilde, die Handlung jedoch reine Fiktion sei.

Ekstatische Wahrheit

Für ihn sei der Begriff „Autofiktion“ deshalb auch Nonsens, weil im Grunde doch jede Fiktion eine Autofiktion sei. Denn, so versucht sich der Autor an einer Erklärung, ihm scheint, der Leser habe spätestens auf Seite drei eines Buches vergessen, dass er einen Roman vor sich liegen habe, und lese das Werk in der Erwartung einer wahren Geschichte. Ganz im Sinne der „ekstatischen Wahrheit“ bei Werner Herzog bediene sich Eduardo Halfon dieses Effekts und verstärke ihn, indem er seinen Erzähler Eduardo mit sämtlichen biografischen Details seiner selbst ausstattet. Entscheidend sei für ihn als Autor auch nicht, was er schreibe, sondern wie er schreibe. So habe er die erste Fassung des Romans in drei Monaten zu Papier gebracht, dann aber zwei Jahre lang an der Sprache gefeilt. Auch bejaht er, dass er als Ingenieur womöglich zu einer gewissen Sprachökonomie tendiere. Doch vielmehr gehe es ihm um Musik, um Rhythmus in der Sprache, Wiederholungen als Taktgeber. Auf die interessierte Nachfrage des Autors hin, bestätigt ihm sein Übersetzer Luis Ruby, dass diese Elemente auch im Deutschen sehr gut nachahmbar seien, nur bei Wortspielen werde es bisweilen knifflig. Doch wovon handelt das konkrete Buch eigentlich?

Auf der Fährte falscher Erinnerungen

(c) Hanser Verlag

„Er hieß Salomon. Er starb, als er fünf war, ertrunken im Amatitlán-See. So bekam ich es als Kind in Guatemala erzählt.“ So beginnt der Roman, der zunächst davon erzählt, wie der Erzähler Eduardo als Kind in dem Glauben aufwächst, sein Onkel, der Bruder seines Vaters, sei als Kind ertrunken. Mit dem Geist des toten Salomon, dessen Name in der Familie nie ausgesprochen wird. Doch dieses Bild bekommt später erste Risse, als Eduardo, inzwischen in den USA lebend, auf ein Foto stößt, das den vermeintlich toten Onkel 1940 im Schnee in New York zeigt. Wie kann das sein? Der erwachsene Erzähler schließlich macht sich am Amatitlán-See auf die Suche nach dieser seiner falschen Erinnerung und findet stattdessen eine andere, viel schrecklichere, wie Lektor Salabè erzählt. Das Publikum hält den Atem an. „Doch mehr wird hier nicht verraten“, verkündet er auf Dringen des Autors den gebannten Zuhörern, die ob dieses Telenovela-artigen Cliffhangers halb amüsiert, halb enttäuscht auflachen.

Telenovela vs. Novela total

Stattdessen verlegt sich der Lektor darauf, den Autor zum Titel seines Buches zu befragen, denn auch mit diesem hat es eine Besonderheit auf sich. Der Originaltitel Duelo ist, so sein Autor, geradezu perfekt, da er im Spanischen drei Bedeutungen und somit wiederkehrende Motive des Buches abdecke: Trauer, Schmerz, aber eben auch ein Duell – das Ringen zwischen zwei Brüdern. Leider ließen sich bislang in keiner anderen Sprache all diese Nuancen abdecken, sodass sich der deutsche Verlag für Duell entschied, während die englische Übersetzung unter dem Titel Mourning erscheint.

Der See als Hauptfigur

Es ist ein Buch, das das Thema Schuld verhandelt. Persönliche Schuld. Schuld in der Familie. Die Schuld eines ganzen Landes. Für Halfon mit seinem biografischen Hintergrund eine besondere Frage – ob in Hinblick auf Guatemala, wo man schnell in Ungnade falle, sobald man das Wort „Genozid“ ausspreche, oder die USA, wo noch heute Denkmäler ehemaliger Generäle die Sklaverei glorifizieren. Oder zu Gast hier in Deutschland, wo sein Großvater mütterlicherseits sechs Jahre lang im KZ Sachsenhausen interniert war.

Letztlich, so Halfon, sei die Hauptfigur des Buches der See, ein Spiegel für Land und Leute. Ein See, in dem immer wieder Kinder ertrinken – so erst letzte Woche – arme Kinder, für deren Schicksal und Namen sich niemand interessiere. So werde dieser See zum Sinnbild für nicht eingestandene Schuld. Der Erzähler in Duell erlebt persönliche Schuld, doch er erfährt auch Erlösung, Ekstase. Doch wenn es schon als Individuum so schwer fällt, sich Schuld einzugestehen, wie viel schwerer muss es dann für ein ganzes Land sein?, stellt Halfon die Frage in den Raum und macht damit den Raum auf für neue Fragen, denen er womöglich in künftigen Erzählungen nachgeht. Aus jedem seiner Bücher schöpfen sich Geschichten für neue Bücher, so der Autor, der bereits an einem neuen Roman arbeitet. Wovon er handeln wird, bleibt er wie so viele andere Auflösungen an diesem Abend schuldig. Doch eines ist sicher: Es wird ein weiterer Mosaikstein sein, mit dem sich die novela total, der „totale Roman“, an dem Halfon nach eigener Aussage arbeitet, zu einem Gesamtpanorama zusammensetzt.

(c) Janine Malz, 2020

16 Jan

Altersvorsorge für Literaturübersetzer:innen

Literaturübersetzer:innen sind einem hohen Risiko ausgesetzt, im Rentenalter zu wenig Geld zu haben. Stichwort Altersarmut. Das ist soweit nichts Neues. Wir arbeiten in einem Niedriglohnsektor, oft nur in Teilzeit oder machen nebenher noch einen Minijob. Die Prognose für das gesetzliche Rentenniveau für 2020 liegt bei etwa 46 Prozent des Nettoeinkommens, Tendenz fallend. Die Zukunft ist also alles andere als rosig. Weiterlesen

16 Dez

Alle Jahre wieder: Übersetzer*innen persönlich

Ein Abend mit Frau Ott, Frau Ott und Frau Ott

Am 12. Dezember dieses Jahres stellte die ehemalige Vorsitzende Regina Rawlinson drei Übersetzerinnen vor, die, wie sich sehr zur Erheiterung des Publikums herausstellte, alle den Nachnamen Ott tragen. Ob die Kolleginnen aufgrund dessen ausgewählt wurden, sei dahingestellt; fest steht, dass Reginas charmante Moderation sowie die nicht minder charmanten vorgestellten Damen den Abend zu einem sehr interessanten und äußerst kurzweiligen machten.

Den Anfang des übersetzenden TriptychOtt macht Bernadette, die als Quasi-Kunsthistorikerin der Verfasserin dieser Zeilen diesen Wortwitz hoffentlich nachsieht. Bernadette kommt aus Franken und übersetzt aus dem Englischen und Französischen, wobei sie keine der beiden Sprachen studiert hat. 1988 schloss sie ein Magisterstudium in Neuerer Deutscher Literatur, Philosophie und Kunstgeschichte ab und begann ein paar Jahre später mit dem Übersetzen essayistischer sowie kunst- und kulturgeschichtlicher Texte.

Sie habe so einige „Regalmeter“ und „Bücher, die sich gut stapeln lassen“ übersetzt, erzählt Bernadette. Etwas später seien dann über Kontakte Bilderbücher zu ihrer mittlerweile sehr beeindruckenden Veröffentlichungsliste hinzugekommen. Sie schmunzelt, „Bilderbücher übersetzen“, das gehe ja an und für sich gar nicht. Doch dann fängt Bernadette an, ein bisschen über ihre Erfahrungen mit dem Genre zu berichten, und es ist eine Freude, ihr dabei zuzusehen, wie sie ins Schwelgen gerät. Im Prinzip hätten Bilderbücher sehr viel mit Lyrik gemeinsam, die Sprache sei sehr schön ,und es herrsche eine „teilweise sehr literarische Konzentration von Lyrik“, wobei sich zusätzlich „die Lyrik und das Visuelle auf einer ganz anderen Ebene kreuzen“. Natürlich gibt es bei Bilderbüchern ebenso übersetzungspraktische Hürden zu überwinden wie bei allen anderen Texten. So müssen selbstverständlich die Illustrationen und das Layout berücksichtigt oder landesspezifische Anpassungen bei Flora und Fauna gemacht werden.

Auch die kleinen Niederlagen, die sich wohl alle Übersetzer*innen hin und wieder eingestehen müssen, gehören zum Alltag: In dem Bilderbuch Medusenkind von Kitty Crowther kommen unter anderem Hebammen vor, die im französischen „sage-femme“ heißen. Wörtlich übersetzt also „weise Frau“. Diese im Original existierende Doppeldeutigkeit sei bei der Übersetzung leider verloren gegangen, bedauert Bernadette. Sie kann allerdings mit weitaus mehr als ‚nur’ Bilderbuchübersetzungen aufwarten. Liest man ihren Lebenslauf, springen einem gleich mehrere Nominierungen für den Deutschen Jugendliteraturpreis ins Auge, zuletzt 2019 für Stadt am Meer von Joanne Schwartz und Sydney Smith. Einige Stipendien und Lesungen säumen ihren Werdegang, zum Beispiel ein dreimonatiges Aufenthaltsstipendium in Montreal 2009 im Rahmen des Kulturaustauschs Bayern–Quebec, oder die Lyriklesung und –performance mit der Montrealer Lyrikerin Chantal Neveu zum Welttag der Poesie 2014 im Bundeskanzleramt – wahrscheinlich Bernadettes ganz persönliches Sahnehäubchen. Dessen ungeachtet fügt sie zum Schluss fast schon entschuldigend hinzu, dass sie ja schon gerne mehr Erwachsenenliteratur übersetzen würde; etwas, das angesichts all ihrer bisherigen Errungenschaften alles andere als abwegig erscheint.

Johanna Ott ist die zweite, ebenfalls aus Bayern stammende Übersetzerin des Abends und mit zarten 35 Jahren zugleich die jüngste. Sie übersetzt aus dem Englischen und Spanischen, und man darf sich von ihrer scheinbar kurzen Karriere nicht täuschen lassen – seit 2016 hat sie beachtliche zehn Veröffentlichungen vorzuweisen. Bereits zu Schulzeiten wurde Johanna eine Liebe für Fremdsprachen und Literatur mit auf den Weg gegeben, der daraufhin zum Magisterstudium der Neueren Deutschen Literatur, englischer Literaturwissenschaft und Ethnologie führte (mit Abstechern in die Psychologie, Komparatistik und Romanistik). Weiter ging es 2012 nach Guatemala zu einem Freiwilligenprojekt, für das die spanischen Werkzeug-Vokabeln vergeblich gelernt wurden, denn die Bohrmaschine war schlicht „la Bosch“.

Trotz vieler schöner Erfahrungen wollten andere Herausforderungen bewältigt werden, und so flog Johanna nach einem halben Jahr zurück und dem Masterstudiengang ‚Literarisches Übersetzen’ an der LMU München direkt in die Arme. Der Abschluss folgte 2016 mit einer Masterarbeit zum Thema Filmsynchronisation, ebenfalls ein Steckenpferd Johannas. Und so führte ihr Weg sie schließlich bereits Ende 2015 zum heiligen Gral, zum ersten Auftrag. Es sei „nur“ ein Beileger für das Lonely Planet Traveller Magazine gewesen, meint Johanna und lächelt verlegen. Auch sonst habe sie bisher „nur“ Reiseliteratur, Sachbücher und Fachübersetzungen gemacht, und man will ihr am liebsten zurufen: „Na und? Ist doch super! Jeder muss mal irgendwo anfangen, und dein Anfang ist gemacht!“ Ein Übersetzungsseminar an der Universität Augsburg hat Johanna ebenfalls schon geleitet und gesteht lachend, davor so nervös gewesen zu sein, dass sie weinen musste. Auf die Frage, was sie in Zukunft gerne übersetzen würde, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen: „Belletristik und Filmübersetzungen.“ Wir drücken die Daumen, Johanna! Hieronymus sei mit Dir!

Zu guter Letzt tritt mit Andrea Ott eines der MÜF-Mitglieder der ersten Stunden vor das Publikum. Sie wurde schon einmal zu Weihnachten vorgestellt, allerdings vor so langer Zeit, dass Regina (zurecht) die Entscheidung traf, sie am heutigen Abend zum zweiten Mal einzuladen.

Andrea beginnt entwaffnend ehrlich: Zum Übersetzen sei sie unter anderem gekommen, weil sie früher selber Bücher habe schreiben wollen; doch dann die Feststellung: „Ich hab nix zu sagen“. Glauben mag man das nicht so recht, wenn man ihr dabei zuhört, wie sie von ihrem ersten Auftrag erzählt. Shirley von Charlotte Brontë hat sie übersetzt. Erstmal einfach so (und auf den spontanen Vorschlag ihrer Mutter hin), um zu sehen, wie es denn sei. Nach ein paar Kapiteln marschierte sie mit ihrer Übersetzung zum Manesse Verlag und zur richtigen Lektorin, einer „Heiligen“, und 1989 wurde Andrea schließlich mit Shirley zum ersten Mal veröffentlicht. Auch ihre übrige Vita lässt nicht glauben, dass Andrea nichts zu sagen hat. Als Regieassistentin und Dramaturgin hat sie gearbeitet, ein Programmkino aufgebaut und betrieben, ist Mutter von zwei Kindern. Und seit 1986 Übersetzerin mit der Sprachkombination English–Deutsch.

Eine beträchtliche Menge Klassiker gehen auf ihr Konto, neben Charlotte Brontë auch hochkarätige Namen wie Jane Austen und Anthony Trollope, um nur einige zu nennen. Zudem gibt sie seit 2007 Workshops und Seminare, und das alles, ohne je studiert zu haben. Als Bestätigung für diese erklecklichen Leistungen kam dann 2016, pünktlich zum 30-jährigen Jubiläum ihres Übersetzerinnendaseins, der Wilhelm Merton-Preis für europäische Übersetzungen. Ein Preis, der von, so eine etwas schelmische Andrea, „wohltätigen Bankern, die beschlossen haben, mal etwas für die Kultur zu tun“, vergeben wird. Man kann das Publikum einvernehmlich und ehrfurchtsvoll nach Luft schnappen hören, als sie die Dotierung verrät: 25.000€. Das sei dann „schon schön“ gewesen. Doch dabei geht es natürlich nicht nur ums Geld, wie Andrea es in ihrer Dankesrede von 2016 wunderbar auf den Punkt gebracht hat: „[M]it diesem Preis [wird] die Arbeit des Übersetzens an sich ins Rampenlicht gerückt. Da hat sich jemand Gedanken darüber gemacht, dass die deutschen Sätze im Buch eines fremdsprachigen Autors nicht von selbst entstehen und ihre Entstehung mit reichlich Mühe verbunden ist. Insofern ist diese Ehrung hier und heute eine Ehrung für alle Übersetzer.“

So lässt sich abschließend eigentlich nur noch sagen, dass der rundum gelungene Abend wahrscheinlich insbesondere alle anwesenden Nachwuchsübersetzerinnen ermutigt und motiviert hat. Der Ratschlag, der unisOtto (entschuldigung) gegeben wurde, nämlich, dass man als Anfänger*in unter gar keinen Umständen die Flinte ins Korn werfen darf, stieß dank des unterhaltsamen Einblicks in drei komplett unterschiedliche, aber ausnahmslos inspirierende Lebensgeschichten sicherlich nicht auf taube Ohren.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank an Regina, Bernadette, Johanna und Andrea – und natürlich an alle, die wieder großzügig für den Büchertisch gespendet haben! Euch und allen anderen frohe Weihnachten, besinnliche Feiertage und einen schmucken Rutsch in ein gesundes und erfolgreiches 2020!

©Elina Baumbach

22 Nov

Selbst-PR für Literaturübersetzer*innen

Sich zeigen, die eigene Stimme in den Vordergrund rücken, von sich selbst sprechen: Das gehört nicht unbedingt zum Tagesgeschäft von Übersetzerinnen und Übersetzern. Die PR-Mentorin und Buchautorin Daniela Heggmaier hat nachgeholfen.

Mit dem Mauerblümchendasein hat Daniela Heggmaier Erfahrung,  stand sie doch selbst jahrelang im Hintergrund und verhalf als PR-Beraterin anderen zu wirkungsvollen Auftritten. Bis sie 2012 ihren Blog startete. In der Bibliothek des Literaturhauses erklärte sie den zahlreich anwesenden Übersetzer*innen, wie man das Internet und andere „Bühnen“ für die Selbst-PR nutzen kann und das auch noch auf achtsame Weise.

Sichtbar sein

Regel Nr. 1:

Wer sich der Öffentlichkeit wirksam präsentieren möchte, muss sich und seine Arbeit zeigen.

Klingt logisch, ist aber gar nicht so einfach. Mit Verweis auf das Buch Show your work des amerikanischen Autors Austin Kleon, erklärte die Referentin, dass man sich zeigen soll, wie man sein möchte, dann werde man auch so wahrgenommen. „Selbstausdruck“ nennt Heggmaier das. Wer also Künstler*in sein möchte, darf sich auch als Künstler*in präsentieren. Auf Unverwechselbarkeit komme es an. Das fängt bei der individuellen Kleidung an und hört bei den richtigen Fotos noch lange nicht auf.

Beziehungen aufbauen

Wie kann man im Internet, diesem riesigen anonymen Universum, Beziehungen aufbauen?

Zunächst sei es ratsam, sich die Internetcommunity als Unterstützer vorzustellen, als Partnerinnen oder interessierte Kunden. Für den Beziehungsaufbau gebe es klare Regeln. Als erstes gelte: Bleiben Sie positiv. Kritisieren, verurteilen und klagen Sie nicht in Ihren Posts. Eine weitere Grundregel: Geben Sie ehrliche und aufrichtige Anerkennung. Sich für andere zu interessieren, sei enorm wichtig. Dazu kann man Posts von anderen teilen, liken oder wohlwollend kommentieren.

Überzeugungsarbeit

Wie kann man die Menschen, mit denen man auf diese Weise in Kontakt getreten ist, dann von sich überzeugen? Dazu sollte man zuhören, stets freundlich sein und die Meinung anderer achten. Man dürfe die Community aber auch gern zum Wettbewerb herausfordern, die eigenen Kompetenzen und Leistungen zeigen. Die wirkungsvollste Weise, das zu tun, sei empathisch zu bleiben. Auf folgende Fragen komme es dabei an:

Welche meiner Kompetenzen nützen anderen? Wie kann ich helfen?

Das ist die so genannte Füllhorn-Strategie, die nichts anderes beinhaltet, als großzügig Wissen an andere weiterzugeben, Denkanstöße und Wissenswertes zu teilen und zu posten. Aber auch selbst Fragen stellen und aktiv Hilfe suchen komme gut an. Geben und Nehmen sei ein wichtiger Grundsatz. Der eigene Blog oder Email-Newsletter ist z.B. ein wirkungsvolles Instrument, die eigenen Kompetenzen zu zeigen und Wissen zu teilen. Man erreiche damit oft mehr Menschen als über Social-Media-Kanäle.

Sieben Säulen

Weiter ging es mit den sogenannten „Sieben Säulen der Selbst-PR“. Eine wichtige Frage hier:

Wie kann ich mich zur Marke machen?

Joseph Beuys‘ Hut oder Hans-Dietrich Genschers gelber Pullover sind besonders prägnante Beispiele für persönliche Markenzeichen, die in der Erinnerung haften bleiben.

Aber es geht nicht nur ums Äußere, auch persönliche Werte sollte man kommunizieren und die eigenen Fachgebiete herausstellen. Andere können einen dabei unterstützen, eine „Marke“ zu werden. Es sei z.B. sinnvoll, um Rückmeldung zu bitten, welche Qualitäten andere an einem selbst wahrnehmen. Denn die eigene Außenwirkung kennt man selbst meist nicht.

Danach ging es um das sogenannte persönliche „Warum“. Wie habe ich mein Talent überhaupt entdeckt? Wie bin ich geworden, was ich bin? Über diese Fragen lohne es sich, nachzudenken und die Antworten dann zu kommunizieren. „Storytelling“ nennt sich das. (weiterführende Informationen dazu bei Simon Sinek Start with why).

Aber – wie man spätestens seit Gottfried Keller weiß – Kleider machen eben doch Leute. Den eigenen Stil zu finden sei wichtig. Sich in individueller Kleidung zu präsentieren, in der man sich wohl fühlt, erzeuge positive Resonanz bei anderen. Zur Außenwirkung gehören auch fantasievolle Visitenkarten und vor allem gute Fotos. Dafür lohne es sich auch, etwas Geld auszugeben.

Eine weitere Säule: ein gutes Netzwerk. Die eigene Webseite, die Nutzung von Social-Media-Kanälen oder beruflichen Netzwerken wie LinkedIn helfen, es aufzubauen. Ein besonders wirkungsvolles Werkzeug sei der Blog. Personality-Blogs, wie Heggmaier sie bezeichnet, förderten die eigene Sichtbarkeit im Netz und seien eine Gelegenheit, die eigene Kreativität zu zeigen. Aber bitte immer auf Kontinuität achten und regelmäßig bloggen.

Auch Medienarbeit ist eine Säule der Selbst-PR. Man kann an Presseevents teilnehmen, versuchen, Journalistinnen und Journalisten für die eigene Arbeit zu begeistern und signalisieren, dass man für Interviews und Vorträge zur Verfügung steht. Als Übersetzerin könne man auch mal mit dem Gedanken spielen, ein eigenes Buch zu schreiben, schließlich hat man ja gute Verlagskontakte.
Achtsam sein

Für Selbst-PR braucht man Mut. Das bedeute aber nicht, sich zu verbiegen, um aufzufallen oder Dinge zu tun, mit denen man sich unwohl fühlt. Für jeden Typ, ob introvertiert oder extrovertiert, gebe es die passenden Strategien und Kanäle. Wer eher kontaktfreudig und mitteilsam ist, kann z.B. einen Youtube-Kanal oder TikTok für sich nutzen.

Kontinuität zu achten, sich also regelmäßig über seine Kanäle zu äußern. Das signalisiert Professionalität.

Questions & Answers

Zum Schluss kamen noch Fragen und Anregungen aus dem Publikum. Eine Teilnehmerin berichtete, dass sie über ihre Eintragung in die Datenbank des VDÜ schon Aufträge bekommen habe. Fast alle Teilnehmer*innen sprachen von der Wirksamkeit des Vitamins B. Hier sei, so Heggmaier, eine gut gepflegte Webseite wichtig, denn damit mache man sich „empfehlbar“. Sie sei wie eine Visitenkarte und zudem ein Service, der alle Informationen zur Person für potenzielle Kunden bündele.

Insgesamt ging man mit dem Gefühl nach Hause, dass man mit Stetigkeit und Authentizität schon viel im Netz erreichen kann. Ein durchaus beruhigendes und motivierendes Gefühl.

(c) 2019 Sabine Voß

28 Okt

Vom Umgang mit „Unübersetzbarem“

Eine detektivische Übersetzer-Reise mit Burkhart Kroeber

Zum Thema Umgang mit „Unübersetzbarem“ hatte das MÜF Burkhart Kroeber am 10. Oktober ins gut besuchte Forum des Literaturhauses geladen. Es sollte an diesem Abend aber weder um Umberto Eco noch um Calvino oder Manzoni gehen, sondern darum, wie Übersetzerinnen und Übersetzer auf der ganzen Welt „eine besonders eigenwillige und einzigartige Stelle in Thomas Manns Zauberberg“ behandelt haben. Kroeber erzählte, wie er den Roman zum ersten Mal als 19-Jähriger gelesen habe, aber damals noch völlig unschuldig und nicht durch die Brille des Übersetzers. Bei einer Zweitlektüre, viele Jahre später, blieb der inzwischen bekannte Eco-Übersetzer nach ca. 780 Seiten plötzlich an einer Textstelle hängen: „ … kahles Geäst, das draußen in eisige, krähenschreiharte Nebelfrühe starrt“ (Der Zauberberg, Teil VII, Kap. Vingt et un, ca. 3 Seiten vor dessen Ende), und stellte sich die Frage: Wie haben die Kolleg*innen das bloß in ihre Sprachen gebracht?

Ein hapax legomenon

Kroeber war auf ein „echtes“ hapax legomenon gestoßen. Denn gebe man das Adjektiv „krähenschreihart“, das Thomas Mann seiner Figur Mynheer Peeperkorn in den Mund legt, in Google ein, werde man genau zu dieser Stelle und ihren Kommentaren geführt, sonst komme es aber nirgendwo vor. Kroebers detektivischer Spürsinn war geweckt: Über mehrere Jahre ging er der Sache nach, machte 39 Übersetzungen des Zauberbergs in 26 Sprachen ausfindig, verglich sie, zapfte dafür das Sprachwissen vieler Kolleginnen und Kollegen an, die ihm gerne dabei halfen, und sammelte die sinngemäßen deutschen Übertragungen zu den fremdsprachigen Textstellen. (vollständige Liste hier)

 

Übersetzerische Herausforderungen

Über den Beamer sahen wir uns die Textstellen im Einzelnen an, „nicht um sie hochnäsig zu kritisieren oder uns über sie lustig zu machen“, so Kroeber, „sondern um etwas über die Eigenarten der jeweiligen Sprachen zu lernen.“ Und wir erkannten schnell: Die problemlos mögliche Agglutination aus „Krähe“ + „schreien + „hart“ im Deutschen stellt andere Sprachen vor höchste übersetzerische Herausforderungen.

Könnte es sein, dass alle späteren Übersetzer*innen von der ersten Version abgeschrieben haben?

Bereits 1927 machte sich die Amerikanerin Helen Tracy Lowe-Porter an die Arbeit, das deutsche Monumentalwerk zu übersetzen. Sie zerlegte das Adjektiv in seine Bestandteile und schmiss  die „Krähen“ aus ihrer Übersetzung. Aus „kahles Geäst, das draußen in eisige, krähenschreiharte Nebelfrühestarrt“ wird bei ihr: „rigid in the harsh and penetrating mist of early dawn … “(wörtlich: „starr im harten und durchdringenden Nebel des frühen Morgens …“). Damit legte sie auch den Grundstein für ein Missverständnis, dass sich in fast allen Übersetzungen (außer der ungarischen, der zweiten tschechischen, der slowenischen und der georgischen) fortschreiben sollte: Aus dem Verb „starren“ bei Thomas Mann wird „starr“ (im Sinne von „erstarren, gefrieren, steif dastehen“). „Könnte es sein, dass (fast) alle späteren Übersetzer*innen von der ersten englischen Version abgeschrieben haben?“, fragt Burkhart Kroeber in die Runde. „Oder war vielleicht das Grimmsche Wörterbuch daran Schuld, in dem Lowe-Porter 1927 nachschlug?“ Auch diese Fährte verfolgte er und fand heraus, dass bei den Grimms das Verb „starren“ als lautlicher Zusammenfall zweier verschiedener Stämme erklärt wird und als erste Bedeutung „erstarren“ genannt wird (und danach erst „starr blicken“). Auch in der englischen Neuübersetzung von 1995 kann sich der in Berlin lebende Übersetzer John E. Woods (der auch Arno Schmidt ins Englische übertrug) nicht anders behelfen, als das Adjektiv zu zerlegen. Bei ihm wird daraus das wohlklingende „harsh with the cries of crows“. Anschließend bereisten wir sämtliche romanische Sprachen: Auch hier funktioniert die Übersetzung nur mittels Zerlegung oder Umschreibung. Auch alle slawischen Sprachen seien durch die Bank eher sehr freie Übersetzungen.

„kråkkraxhårda“

Aber dann staunen wir: 1929 gelang es der Schwedin Karin Boye das deutsche „krähenschreihart“ fast wortgetreu mit „kråkkraxhårda“ (wörtlich: „krähenkrächzhart“) in ihrer Sprache nachzubilden. Die zweite schwedische Übersetzerin nimmt es in ihrer Version von 2011 allerdings wieder zurück, wie auch alle übrigen Skandinavisch-Übersetzer*innen.

Agglutination wäre in einigen Sprachen möglich gewesen, wurde aber nicht ausprobiert

Wie Kroeber von kompetenter Seite erfahren hat, wäre es auch dem Übersetzer ins Jiddische, Jizhak Baszevis (Wilna, 1930) – kein Geringerer als der spätere Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer! –, möglich gewesen, eine ähnliche Agglutination zu probieren, gewagt hat er es nicht. Auch im Niederländischen hätte es theoretisch funktioniert.

Und wie verhält es sich in anderen agglutinierenden Sprachen wie dem Finnischen, dem Ungarischen oder dem Türkischen? In der finnischen Übersetzung wurde die Textstelle schlichtweg gestrichen, im Ungarischen habe es nur zu einem „krähenkrächzig“ und einem separaten „hart“ gereicht, und in der türkischen Übersetzung von 2002 sei eine der wortreichsten Versionen überhaupt entstanden, sehe man einmal von den ostasiatischen Sprachen ab (und dort ginge es strukturell eben nicht anders). So erinnern die beiden japanischen Versionen Kroeber in ihrer künstlerischen Freiheit fast schon an die Übersetzung des durch die Welt gewanderten Goethe-Gedichts „Über allen Gipfeln ist Ruh’“ – „Und dann war’s am Ende irgendein Haiku!“. Und was wurde schließlich aus den armen Krähen, die Lowe-Porter aus ihrer Erstübersetzung geschmissen hatte?

Keine Krähen im Morgenland

In Serbien (bei Nikolina Polovina, 1954) krächzen an ihrer Stelle „Raben“, in der griechischen Übersetzung (Ares Diktaios, 1956) bleibt nur noch eine Krähe übrig, und aus der hebräischen (Mordechay Avi-Shaul, 1955) und der arabischen Version (Ali Abd-al-Amir Salih, 1955) verschwinden sie komplett. Gemeinsam mit Burkhart Kroeber kommen wir zu dem Schluss: „In diesen morgenländischen Gegenden gibt es eben nicht so viele Krähen, weshalb die Übersetzer*innen sie ihren Lesern erst gar nicht zumuten wollten!“ Aus übersetzerischer Sicht ein durchaus pragmatischer Standpunkt. Was hätte wohl Thomas Mann darüber gedacht?

Matthias D. Borgmann, Oktober 2019

 

 

 

 

 

18 Okt

Gläsern übersetzen: Andrea O’Brien und Luis Ruby

Pünktlich zum Hieronymus-Tag am 30. September lud das MÜF seine Mitglieder und alle Interessierten ein, Übersetzer*innenarbeit unmittelbar auf der großen Leinwand zu verfolgen – und zu kommentieren. Das Veranstaltungsformat des „Gläsernen Übersetzens“ wurde schon mehrmals erfolgreich angeboten, diesmal übersetzten Andrea O’Brien und Luis Ruby nacheinander vor aller Augen eine Textstelle zum ersten Mal und ließen das Publikum an der Entscheidungsfindung teilhaben.

Jedem Anfang…

Zuerst stellte Andrea O’Brien kurz ihr neues Projekt (Maria Kuznetsova: Oksana, Behave) vor. Eine Ich-Erzählerin, zu Beginn des Romans sieben Jahre alt, erzählt mit ironischer Distanz aus der Erwachsenenperspektive die Geschichte ihrer Familie. Da es sich um eine Übersetzung aus dem Englischen handelt, war die Publikumsbeteiligung entsprechend rege.

Als Textstelle hatte Andrea O‘Brien den Romananfang ausgewählt, der, wie jede Übersetzerin weiß, eine ganz besondere Herausforderung darstellt. Einerseits entscheiden die ersten Seiten, egal ob im Original oder in der Übersetzung, darüber, ob der Leser überhaupt weiterliest. Zum anderen dauert es bei jeder Übersetzung (genau wie beim Schreiben des Originals) einige Zeit, bis der richtige Ton gefunden ist.

Die Übersetzerin bezog das Publikum unmittelbar in ihre Überlegungen ein. Schon die ersten drei Worte „1992, Kiew, Ukraine“ lösten eine angeregte Debatte aus: Setzt man im Deutschen die Jahreszahl nicht eher ans Ende, also „Kiew, Ukraine, 1992“? Ist die Reihenfolge „Stadt, Land“ nicht dem Amerikanischen geschuldet (Cambridge, Massachusetts), also doch „Ukraine, Kiew, 1992“? Könnte der Zusatz „Ukraine“ im Deutschen nicht gleich ganz entfallen, da er vielleicht für die amerikanische Leserschaft wichtig ist, für deutsche Leser*innen aber womöglich komisch wirkt  (wie „Paris, Frankreich“)?

… wohnt viel Arbeit inne

Da der Romananfang so entscheidend ist für die Charakterisierung der Figuren, wurden die entsprechenden Textstellen besonders ausführlich diskutiert. Im Englischen seufzt die Großmutter „philosophically“. Es kamen zahlreiche Vorschläge, darunter „abgeklärt, nachdenklich, weise“ und „wissend“. Wie befördert sie den Zigarettenrauch aus dem Autofenster? Sie „bläst, pustet, lässt entweichen“ oder „schickt den Rauch hinaus“? Als sehr hilfreich erwies sich, dass Andrea O’Brien fast alle Varianten zumindest vorübergehend übenahm, sodass diese sofort im Kontext ‚gedruckt‘ auf dem Schirm zu sehen waren, was immer wieder dazu führte, dass Vorschläge umgehend zurückgezogen wurden.

Die Großmutter versucht ihrer siebenjährigen Enkelin Amerika schmackhaft zu machen mit den Worten: „But think of all the men.“ Da die Enkelin erst sieben ist, lesen wir „but this wasn’t much of a selling point.“ Diese Textstelle trägt ganz wesentlich zu einer ersten Charakterisierung der Erzählerin bei, sodass hier ein ironisch distanzierender Tonfall notwendig ist, auch wenn die Protagonistin zu diesem Zeitpunkt erst sieben Jahre alt ist.

Nach und nach entstand eine beinahe ‚fertige‘ Übersetzung, allerdings nur von einigen wenigen Zeilen. Bei diesem Arbeits’tempo‘ müssten alle Übersetzer in kürzester Zeit verhungern.

Deutliche Uneindeutigkeit

Anschließend stellte Luis Ruby sein aktuelles Projekt vor, eine Übersetzung aus dem argentinischen Spanisch. Der Ich-Erzähler des Romans Cameron von Hernán Ronsino gibt Informationen nur zögerlich preis, eine Technik, die die das Übersetzen erschwert, da einerseits häufig noch nicht genug Information vorhanden ist, um Entscheidungen zu treffen, der Text aber andererseits nicht zu eindeutig werden darf.

Der Übersetzer führte anhand seines Textausschnitts sehr anschaulich vor, wie er arbeitet: Anfangs werden alle möglich erscheinenden Varianten aufgelistet, Hinzufügungen im Deutschen markiert, die Rohfassung bleibt möglichst lange offen und erst dann wird in mehreren Arbeitsgängen die optimale Lösung gefunden. Außerdem kamen Hilfsmittel wie Lexika und Synonymwörterbücher zum Einsatz. Ein Video, auf dem der Autor aus einem seiner Werke liest, half Luis Ruby zu Beginn der Übersetzungsarbeit, den richtigen Ton zu finden.

Wenn das Fieber nicht nur packt

Die Publikumsbeteiligung war ebenfalls sehr munter, wenn auch die Diskussion mangels Sprachkompetenz allgemeiner blieb. So wurde zum Beispiel darauf hingewiesen, dass in den romanischen Sprachen generell mehr Personifizierungen verwendet werden als im Deutschen. Es ist also fraglich, ob das Fieber den Erzähler nicht nur „packen“ muss, sondern ihn auch noch „unter die Decke zwingen“ („la fiebre que retorna y me tiene hundido entre las cobijas“). Auch der zweite Teil dieses Satzes („que Orsini sacó de un mueble para cubrirme.“) warf generelle Fragen auf: Da sich für ‚mueble‘ kein entsprechendes deutsches Wort finden lässt, kann die Übersetzung hier genauer werden (z.B. ‚Truhe‘) oder aber auch das Wort ganz weglassen, so dass Orsini die Decken irgendwo ‚hervorholt‘. Besonders zahlreiche Vorschläge wurden für die Übertragung der Fieberphantasien des Erzählers ins Deutsche gemacht, von denen eine ganze Reihe in die Rohübersetzung aufgenommen wurden.

Am Ende entstand ein variantenreicher Text, aus dem in einem mehrstufigen Verfahren die endgültige Übersetzung entstehen wird.

Die praktische Arbeit am Text war nicht nur anregend und sehr vergnüglich, sondern der Abend hat auch – zu meiner großen Freude – gezeigt, wie unterschiedlich Übersetzer arbeiten können. Den beiden und dem engagierten Publikum ganz herzlichen Dank!

Gloria Buschor, 2019

23 Jul

In der Länge liegt die Last: Wie man Satzungetüme bändigt

Bericht aus der Übersetzerwerkstatt mit Ursula Wulfekamp

Die Länge der Gesänge ist zu lang
für meines Ohres Länge.
(Wilhelm Busch)

Eine kleine, aber feine Gruppe von ÜbersetzerInnen hatte sich am Donnerstag, den 11. Juni 2019 im Literaturhaus eingefunden, um sich gemeinsam den Herausforderungen zu stellen, die „Satzungetüme“ mit sich bringen können. Unter der Anleitung von Ursula Wulfekamp sollte anhand von Beispielen erarbeitet werden, wie man Sätzen zu Leibe rücken kann, die kein Ende nehmen wollen.

Ist das Stil oder kann das weg?

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde war das denn auch die erste Frage, die die Teilnehmer beschäftigte: Wie geht man mit langen Sätzen um? Welche Herangehensweisen gibt es? Eine einfache Antwort darauf – das wurde sehr schnell klar – existiert nicht. Wie mit solchen Sätzen umzugehen sei, lasse sich so pauschal nicht sagen, hieß es beispielsweise in einer Ecke. Sicher sei nur, was am Ende des Arbeitsprozesses stehen müsse, nämlich wie immer eine idiomatische Übersetzung, „die auch im Deutschen gut rüberkommt“. Nach und nach wurde aber doch einiges zusammengetragen, das den Umgang mit Satzungetümen erleichtern könnte, beziehungsweise, das es bei der Übersetzung derselben zu beachten gilt: Den Satz erst einmal ganz genau und Wort für Wort zu übersetzen und dann weiterzusehen, lautete ein Vorschlag; ihn zu sortieren und seine Struktur zu durchdringen, ein anderer. Der Rhythmus eines Satzes spiele ebenfalls eine wichtige Rolle, weshalb es auch nicht immer ratsam sei, den Satz zu zerstückeln. Von anderer Seite wurde die Frage „Ist das Stil oder kann das weg?“ aufgeworfen, wobei diese natürlich wiederum die Frage nach sich zieht, ob man damit dem Autor nicht Unrecht tut.

Ans Eingemachte

Nach diesem kurzen Brainstorming ging es ans Eingemachte: Neun Beispiele hatte die Workshopleiterin zusammengestellt, wobei einige aus eigenen, andere aus Projekten einzelner Workshop-TeilnehmerInnen stammten. Zunächst wurde auf die englischen Originale eingegangen: Man klärte Fragen zu einzelnen Ausdrücken sowie zum Kontext, machte Vorschläge, diskutierte, verfeinerte oder verwarf diese wieder, bevor man schließlich einen Blick auf die bereitgestellte deutsche Übersetzung warf.

Nun ist es ja kein Geheimnis, dass sich Übersetzer durch ihre Liebe zur Sprache und durch ihre Gründlichkeit auszeichnen und demnach dürfte es niemanden überraschen, dass in der vorhergesehenen Zeit gerade einmal vier der neun Beispiele besprochen werden konnten – diese jedoch ausführlich und in all ihren Details. Hier zeigte sich einmal mehr, dass die übersetzerische Tätigkeit eine ganzheitliche ist, denn selbst, wenn der Fokus an diesem Abend ganz klar auf dem Umgang mit der Satzlänge lag, so konnten doch auch die anderen Aspekte der Textausschnitte (die Bilder, die einzelne Ausdrücke entstehen lassen, Wiederholungen im Original, die es in der Übersetzung eventuell auch zu berücksichtigen gilt, usw.) nicht vernachlässigt werden.

Der Kontext ist überlebenswichtig

Anhand der Beispiele kristallisierten sich dann auch noch weitere Strategien heraus, wie beispielsweise die Umstellung des Satzes, das Einfügen von Einschüben oder das Aufsplitten in zwei Sätze (wobei manch einer der Ansicht war, dass diese Strategie eher im Sachbuchbereich denn bei der Belletristik anzuwenden sei, da lange Satzgefüge bei letzterer auch zum Stil des Werkes gehören können). Wie immer beim Übersetzen stellte sich auch im Umgang mit „Satzmonstern“ der Kontext als überlebenswichtig heraus, wobei sich dieser nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Art des Textes beziehen kann; schließlich lassen sich manche Textarten in Bezug auf Ausdruck und Stil lockerer formulieren als andere und das kann wiederum so manche Entscheidung hinsichtlich des Umgangs mit der Satzlänge erleichtern.

Nach einem spannenden und intensiven Workshop lautete der allgemeine Konsens: Eine Werkstatt in dieser Art ist ein ganz wunderbares Format. Bitte mehr davon!

Johanna Ott, Juli 2019

18 Jun

Echt absolut – Literarisches Übersetzen mit Jugendlichen

Abschlussabend der Übersetzerwerkstatt im Literaturhaus am 6. Juni 2019

Bei dieser Veranstaltung hatte das Münchner Übersetzerform ungewöhnliche Gäste. In der Bibliothek des Literaturhauses hatten sich elf (ein Teilnehmer war auf Klassenfahrt) aufgeregte, aber konzentrierte Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren versammelt. Ihr großer Auftritt, der Abschluss der ersten Übersetzerwerkstatt, stand unmittelbar bevor. Im Mai hatten sie an vier Donnerstagnachmittagen mit mir die ersten Kapitel des noch nicht auf Deutsch erschienenen, amerikanischen Jugendromans „What I Leave Behind“ von Alison McGhee übersetzt. Wir waren auf Einladung des MÜF gekommen, um unsere Arbeit vorzustellen und mit den Profis zu diskutieren. Auch viele Eltern und Lehrer waren anwesend.

Dreizehn Workshops  in ganz Deutschland

Im Rahmen einer gemeinsamen Initiative des Literarischen Colloquiums und des Übersetzerfonds und unterstützt von der Kulturstiftung des Bundes und der Robert Bosch Stiftung werden im Rahmen des Projekts „Echt absolut – Literarisches Übersetzen mit Jugendlichen“ dreizehn Workshops mit unterschiedlichen Ausgangs- und Zielsprachen und Formaten in ganz Deutschland gefördert und begleitet. Im nächsten Jahr sollen die Arbeitsmaterialen auf eine Online-Plattform gestellt werden und für künftige Projekte bereitstehen. Darunter auch meine Übersetzerwerkstatt aus dem Englischen.

Nach einer kurzen Darstellung von Ablauf und Vorgehensweise stellten zwei Teilnehmer*innen die Autorin und den Text vor, soweit wir ihn bearbeitet hatten, und charakterisierten die Figuren. Eine wichtige Voraussetzung, um für sie den richtigen Ton zu finden, wie wir bei unserer Arbeit festgestellt haben. Eine Teilnehmerin hat es sinngemäß formuliert: „So wie ich mir Will vorstelle, sagt der das nicht so.“ Wir alle kennen das aus unserer täglichen Arbeit, wenn im besten Falle die Figuren ein Eigenleben im Kopf entwickeln und zu uns sprechen.

In Gruppen hatten die Schüler*innen vier für den Text charakteristische Übersetzungsprobleme herausgegriffen und erläuterten anhand von Textstellen ihre Übersetzungsentscheidungen. Da der Arbeitsprozess ergebnisoffen war, und ich die Diskussionen während unserer Sitzungen eher moderieren als manipulieren wollte, fielen sie, zum Beispiel bei der Frage „Dad, Papa oder Vater?“, nicht unbedingt so aus, wie die Profis sich vielleicht entschieden hätten. Aber der Übersetzernachwuchs hatte gute Argumente und konnte in dem jeweils sich anschließenden Austausch mit den Profis durchaus seine Frau/seinen Mann stehen. Weitere Probleme waren die Leseranrede und die Übersetzung der Begriffe „walk“ und „(to)night“, die im Text eine tragende Rolle spielen. Auf diese Weise für den Roman sensibilisiert, bekam das Publikum anschließend das Produkt unserer Arbeit, den gemeinsam erstellte deutsche Übersetzung, vorgelesen.

Am Ende das Abends waren sich alle einig, dass solche außerschulischen Projekte nicht nur nützlich sind, sondern auch Spaß machen.

Im zweiten Teil des Abends stand der Beruf des literarischen Übersetzers im Vordergrund. Ich stellte meinen eigenen Werdegang und Arbeitsalltag kurz vor. Im Anschluss konnte jede Schülerin und jeder Schüler eine Frage an die Profis im Publikum stellen. Diese standen uns tapfer Rede und Antwort, sodass auch die zuhörenden Eltern und Lehrer einen differenzierten Einblick in das Berufsbild bekamen. Zum Abschluss gab es unter lebhaftem Applaus noch ein Teilnahmezertifikat und den Roman als Geschenk in der berechtigten Hoffnung, dass die jungen Übersetzer ihn auf Englisch zu Ende lesen.

Leider ist das Übersetzen im Schulalltag mittlerweile dem Primat der Kommunikativen Kompetenz zum Opfer gefallen und kommt praktisch nicht mehr vor (außer in Latein). Dabei könnte literarische Übersetzen, das ja Lesen in der Fremdsprache und Schreiben in der eigenen Sprache bedeutet, gleich doppelt von Nutzen sein. Es kann neben der fremdsprachlichen Kompetenz auch die eigene Ausdrucksfähigkeit fördern und das Sprachgefühl sensibilisieren. Am Ende das Abends waren sich alle einig, dass solche außerschulischen Projekte nicht nur nützlich sind, sondern auch Spaß machen.

Das Publikum war begeistert von dem großen jugendlichen Engagement.

Es war schön, diesem Austausch zwischen den jungen Experten und den professionellen Übersetzer zuzusehen; das Publikum war begeistert von dem großen jugendlichen Engagement. Wir bedanken uns noch einmal dafür, dass den Schüler*innen mit dieser Veranstaltung die Möglichkeit geboten wurde, ihre Arbeit sichtbar zu machen und als Übersetzer ernst genommen zu werden. Bei einem abschließenden, von Katrin Lange freundlicherweise organisierten Umtrunk nutzten sie die Chance, mit den Profis ins Gespräch zu kommen.

Susanne Hornfeck, 2019