28 Nov

Herbstlese 2017: Eine reiche Ernte

Herbstzeit ist Lesezeit – in zweifacher Bedeutung: Die Ernte wird eingefahren, und man hat Zeit zu lesen. Oder sich vorlesen zu lassen. Während also draußen noch die letzten bunten Blätter von den Bäumen flatterten, blätterten im Literaturhaus vier Übersetzerinnen in ihren neuesten Werken, erzählten im Gespräch mit der Moderatorin Ursula Wulfekamp von den Freuden und Herausforderungen der Texte und lasen uns Erlesenes vor.

Intelligente Essays der „furchterregend gebildeten“ Margaret Atwood

Christiane Buchner begann mit dem Essayband Aus Neugier und Leidenschaft (erschienen im Oktober 2017 im Berlin Verlag) der kanadischen Autorin Margaret Atwood, die in diesem Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten hat. „Das Buch ist so sympathisch, wie es aussieht!“, erklärt Christiane gleich zu Anfang und stellt ein großes pinkfarbenes Hardcover mit einer Eule darauf auf den Tisch. Die Eule ist natürlich nicht zufällig ausgewählt, denn die Essays, so Christiane, seien ein „intellektuelles Vergnügen“, jeder für sich interessant und tiefgründig. Dass die Autorin geradezu „furchterregend gebildet“ ist, stellte aber auch eine Herausforderung an die drei Übersetzerinnen des Buches dar, die entsprechend viel recherchieren mussten. Gottseidank sind sie (nicht nur über das MÜF) gut vernetzt.

In den zwei Ausschnitten, die Christiane vorliest, wird dann recht bald deutlich, dass die Texte nicht nur ein intelligentes Spiel mit kulturwissenschaftlichem Wissen, sondern auch witzig geschrieben sind. Dass das Übersetzen Spaß gemacht hat, ist deutlich zu merken, und auch das Zuhören ist ein Vergnügen. In der ersten Passage aus der Rede „Wie Utopia entstand“ (1989) fragen wir uns, was Platons Staat und die Johannesoffenbarung verbindet und warum Utopien nur bei Gesellschaften mit einem monotheistischen Weltbild und linearer Zeitauffassung entstehen. Im zweiten Text, einer Passage aus dem Essay „Männer gestalten: Romanfigur Mann“ reagiert Margaret Atwood auf den Vorwurf, dass Männer in ihren Werken schlecht wegkämen, und folgert nach einem ironischen Blick in die Literaturgeschichte – zu so „sympathischen“, von Männern geschriebenen Figuren wie Hamlet, Macbeth und Faust –, dass eine gut geschriebene Figur keine moralisch gute sein muss. Dennoch fragen wir uns: Sind Autorinnen gnädiger mit männlichen Figuren als Männer? Dürfen nur Männer gemein zu Männern sein?

Spanischer Roman: Yoro von Marina Perezagua

Dann lassen wir die Männer hinter uns und wenden uns in den folgenden drei Übersetzungen den Frauen zu. Als zweite an diesem Abend liest Silke Kleemann aus Hiroshima der spanischen Autorin Marina Perezagua (erscheint im März 2018 bei Klett Cotta), einem der allerschwierigsten Bücher, die sie je übersetzt habe – nicht nur wegen der schwierigen Sprache und der langen, komplizierten Sätze, sondern auch wegen des besonderen, poetischen Blicks auf die Welt und des durchaus bedrückenden Themas des Atombombenabwurfs. Da stellt sich die Frage, wie tief man als Übersetzerin in einen Text auch emotional eintauchen muss, wie sehr man sich berühren lassen muss, um ihn angemessen und nachvollziehbar zu übersetzen. Detaillierte technische Beschreibungen der Atombombe, die zwar einiges an Recherche erfordern, können da schon fast ein Schutz und eine willkommene Ablenkung sein, erklärt Silke. In der ausgewählten Textstelle kommt dann aber vor allem die poetische Dimension des Romans rüber. In den Gedanken der Protagonistin, einer Überlebenden von Hiroshima, überlagern sich bei einem Spaziergang Bilder um die Themen Schwangerschaft, Tod, Suche und Verdauung.

Jessica Brockmole und die Frauen in der Filmbranche

Mit dem dritten Buch führt uns Uta Rupprecht in ein traurig aktuelles Thema ein: Woman enters left von Jessica Brockmole (erscheint im Frühjahr 2018 bei Diana) ist ein Roman, der vom „nicht immer ganz korrekten Umgang mit Frauen in der Filmbranche“ handelt, was in der erzählten Zeit, dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts, aber als völlig normal hingenommen wird. Aus verschiedenen Perspektiven und mithilfe verschiedener Textsorten – darunter auch ein Haushaltsbuch – wird von der Emanzipation zweier Frauen erzählt.

Swingen mit Zadie Smith

Und dann gibt es da ja noch Autorinnen, zu denen man einfach irgendwie einen persönlichen Bezug hat. So ist es bei Tanja Handels und Zadie Smith. Diese war schon lange eine ihrer Lieblingsautorinnen, erzählt Tanja, als ihr der Verlag vor ein paar Jahren unerwartet einen Essayband anbot. Mit Swing Time (erschienen im August 2017 bei Kiepenheuer & Witsch) durfte sie nun bereits den zweiten Roman von ihr übersetzen. In einem wunderbar ironischen Ton erzählt die ausgewählten Textstellen von einem Mädchen mit schwarzer Mutter und weißem Vater, das versucht, jenseits von Müttern mit „Geschmack“, Fragen der ethnischen Zugehörigkeit und einem altklugen, aber hoffnungslos konservativen Uni-Freund einfach nur ein „Mensch weiblichen Geschlechts“ zu sein. Die Übersetzung ist mindestens so spritzig wie das Original, und der Funke springt sogleich über. Man könnte noch ewig weiter zuhören. Gottseidank kann man sich diesen Roman gleich besorgen und weiterlesen, während man auf den Frühling wartet, um dann auch die anderen beiden lesen zu können.

Elisabeth Heeke

25 Sep

Wo der Hund begraben lag – Perfekt oder Präteritum?

Wie man weiß, sind wir Übersetzerinnen und Übersetzer bei allen die deutsche Sprache betreffenden Fragen – und zugegebenermaßen bei den meisten anderen Belangen auch – selten um eine Antwort verlegen. Und erst recht, wenn es um ein vermeintlich so banales Thema geht, wie jenes, das sich das MÜF im September als Fortbildungsfokus auserkoren hat: Perfekt oder Präteritum – das ist die Frage.

Besprechendes oder erzählendes Tempus?

So starteten wir gemeinsam mit der Vortragenden Gloria Buschor anhand einer aus Weinrichs Textgrammatik der deutschen Sprache entlehnten, völlig klaren Unterscheidung zwischen „besprechendem“ und „erzählendem“ Tempus-Register sowie diversen anderen Merkmalen der beiden Vergangenheitsformen erstmal zuversichtlich in die Diskussion.

Weinrich allein löst die Frage nicht

Bereits beim ersten Textbeispiel wurde jedoch klar: Mit Weinrich können wir zwar unseren Horizont gehörig erweitern, die Entscheidung nimmt er uns aber auch nicht ab. Zu viele Faktoren fließen in die Wahl des Tempus mit ein: Kontext (natürlich!), Dialekt, Soziolekt und Alter des Sprechers, literarische Tradition oder aktuelle Strömungen der Sprachentwicklung (denn laut Sprachwissenschaft haben wir es im Deutschen mit einem regelrechten „Präteritumschwund“ zu tun). So beschäftigten wir uns geraume Zeit damit, ob es nun Wir begruben den Hund in Nachbars Garten oder Wir haben den Hund in Nachbars Garten begraben heißen muss, und welche Bedeutungsnuancen jede der beiden Tempus-Formen mit sich bringt. Anschließend stand zur Diskussion, ob und in welchem Ausmaß beide Formen gemischt vorkommen können, welcher Effekt damit erzielt wird und wie lange man eine Erzählung im Perfekt durchhalten kann. Kann man dem Leser ein ganzes Buch im Perfekt überhaupt zumuten?

Schriftlichkeit vs. Mündlichkeit – und alles dazwischen

Einigkeit herrschte darüber, dass „grundsätzlich kein Tempus einer Sprache dem Tempus einer anderen Sprache gleichgesetzt werden kann“, auch weil sich die Erzähltraditionen verschiedener Sprachen sich in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrzenten unterschiedlich entwickelt haben.

Im Laufe des Abends verschwamm die Trennlinie zwischen „Schriftlichkeit“ und „Mündlichkeit“ immer mehr und machte Begriffen wie Bauch- und Sprachgefühl Platz, bis schließlich klar war, wo der Hund begraben liegt: Tempusentscheidungen sind eben alles andere als banal!

So ging die Prophezeiung der Referentin, der Abend werde wohl mehr Verwirrung stiften, als Fragen beantworten, idealerweise aber dabei helfen, Bauchentscheidungen zu rechtfertigen, in vollem Umfang in Erfüllung.

Claudia Amor

27 Jun

Vorsicht, Schusswaffen!

Einmal pro Jahr gibt es beim Münchner Übersetzerforum eine Veranstaltung aus der Reihe „Basiswissen – nicht nur – für Krimiübersetzer“. Darin soll ÜbersetzerInnen von Kriminalliteratur das für ihr Genre nötige Insiderwissen vermittelt werden. Bei vergangenen Veranstaltungen der Reihe haben bereits Fallanalytiker, Rechtsmediziner und Kriminalbiologen ihr Fachwissen ans interessierte und meist sehr zahlreich versammelte Publikum weitergegeben.

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29 Mai

„Wie wird ein Text deutsch?“ – Ein Dreiergespräch zwischen Karen Nölle, Alexandra Baisch und Luis Ruby

 

Man lese den Titel aufmerksam: „Wie wird ein Text deutsch?“ Er lautet nicht etwa: „Wie übersetze ich einen fremdsprachigen Text in gutes Deutsch?“ Nein, die Frage reicht weiter, nämlich wie übertrage ich einen literarischen Text so, dass daraus auch im Deutschen ein guter literarischer Text wird. Was die „gute Lesbarkeit“ meinen kann, aber auch die tradierten, jeweils unterschiedlichen Literarizitätsmerkmale. Der spezifisch literarische Sound also, um den geht es. Und um Besonderheiten, die nach besonderen Strategien verlangen. Anne Garrétas schillernder Roman Sphinx, übersetzt von Alexandra Baisch, und die Erzählungen und Romane der brasilianischen Schriftstellerin Clarice Lispector, seit geraumer Zeit übersetzt von Luis Ruby, verlangen dabei im Deutschen besondere sprachliche Gestaltungskraft, aber auch Genauigkeit.
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18 Apr

Kleine Einführung in die Malediktologie

 

 

So voll ist es dann doch nicht oft bei den internen Veranstaltungen des Münchner Übersetzer-Forums: In Scharen strömten die Kolleginnen und Kollegen am Abend des 6. April ins Forum des Literaturhauses, um etwas über das Fluchen, Schimpfen, Schmähen und Vom-Leder-Ziehen in den verschiedenen Sprachen zu erfahren. Christiane Burkhardt, Übersetzerin aus dem Italienischen, Niederländischen und Englischen, hatte sich ausführlich mit dem Thema beschäftigt und bot den fasziniert lauschenden Kollegen nach standesgemäßer Begrüßung mit dem albanischen Fluch „Möge die Elster aus euren Gehirnen trinken!“ einen umfassenden Überblick über das internationale Fluchverhalten – mit durchaus anschaulichen Beispielen vor allem aus ihren Ausgangssprachen und dem Deutschen natürlich.
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