18 Apr

Kleine Einführung in die Malediktologie

 

 

So voll ist es dann doch nicht oft bei den internen Veranstaltungen des Münchner Übersetzer-Forums: In Scharen strömten die Kolleginnen und Kollegen am Abend des 6. April ins Forum des Literaturhauses, um etwas über das Fluchen, Schimpfen, Schmähen und Vom-Leder-Ziehen in den verschiedenen Sprachen zu erfahren. Christiane Burkhardt, Übersetzerin aus dem Italienischen, Niederländischen und Englischen, hatte sich ausführlich mit dem Thema beschäftigt und bot den fasziniert lauschenden Kollegen nach standesgemäßer Begrüßung mit dem albanischen Fluch „Möge die Elster aus euren Gehirnen trinken!“ einen umfassenden Überblick über das internationale Fluchverhalten – mit durchaus anschaulichen Beispielen vor allem aus ihren Ausgangssprachen und dem Deutschen natürlich.

Warum fluchen wir eigentlich?

Zunächst wurden die drängendsten Fragen aus dem Fachgebiet der Malediktologie beantwortet: Warum fluchen Menschen überhaupt? Sie tun es in schöner Einigkeit überall auf der Welt – aber wie funktioniert das eigentlich? Und wie unterscheiden sich die verschiedenen Länder und Regionen und damit auch die verschiedenen Sprachen in ihrer Schimpftechnik?

Wir lernen, dass das Fluchen eigentlich doch recht positive Auswirkungen hat: Es dient vor allem dem kathartischen Dampfablassen und hat dabei sogar eine nachweisbare biologische Funktion, da es die Schmerzresistenz und die Ausdauer erhöht. Außerdem sublimiert und verhindert es körperliche Aggressivität, wenn man sich erst einmal ausführlich beschimpft. Und es kann sogar Gemeinschaft stiften und Gruppenzugehörigkeit signalisieren, wenn es sich um eine ganz spezielle Art des Schimpfens und Schmähens handelt, beispielsweise in der Jugendsprache, unter Seeleuten, beim Militär etc. Ein saftiger Fluch zur richtigen Zeit kann also Wunder wirken, und so erstaunt es nicht, dass ihm sogar eine eigene Gehirnregion zusteht: Die Flüche sind im limbischen System angesiedelt. Bei allen guten Auswirkungen auf den Schimpfenden können sie aber beim Beschimpften durchaus heftige körperliche Reaktionen auslösen. Und anders als bei Komplimenten gibt es auch keinen Gewöhnungseffekt: Man fühlt sich immer wieder neu getroffen von Schimpfwort oder Fluch.

Grammatik des Fluchens

Uns als Übersetzer interessiert natürlich vor allem auch die Grammatik des Fluchens. Dabei fällt auf, dass alle Sprachen dazu neigen, Flüche beliebig zu kombinieren, oft auch zu Steigerungszwecken: „goddamn fucking shit“ im Englischen zum Beispiel oder die schöne bayrische Beschimpfung, jemand sei „brunzbislbled“. Und auch wenn man sich im Alltag manchmal mit Euphemismen behilft („Scheibenkleister“ etc.), ist an sich der Tabubruch ein unerlässliches Element einer funktionierenden Beleidigung. Das reicht erwartungsgemäß vom Blasphemischen übers Fäkale und Sexuelle bis hin zu Verwandtenbeleidigungen, Tiervergleichen und anderen Normabweichungen. Interessant ist die regionale Verteilung: Während sich Sprachen wie das Englische und Niederländische und zu Teilen auch das Italienische beim Fluchen eher des sexuellen Bereichs bedienen, ist im Deutschen der „Griff ins Klo“, also zum Fäkalen, meistens unerlässlich. Klassisches Beispiel: Das englische „fuck“ entspricht in etwa dem deutschen „Scheiße“. Aber auch hier kommen wir bei der Diskussion auf interessante Beobachtungen, beispielsweise die, dass bei Beschimpfungen aus dem sexuellen Bereich die als wirklich schlimm empfundenen Flüche häufig mit dem weiblichen Geschlechtsteil zu operieren scheinen: „cunt“, „Fotze“ etc. Wir finden auch heraus, dass es im Deutschen auffallend viele Beschimpfungen mit Tiernamen gibt – „Esel“, „Kuh“, „Schwein“, oft auch ohne ihre ursprünglichen Attribute wie „dumm“, „blöd“ oder „dreckig“ –, und stoßen auf die spannende Variante des Namensfluchs: „Du Horst“ oder, nicht ganz so aktuell, „Du blöder Heini“ im Deutschen und „She’s such a Sharon“ (laut des anwesenden Muttersprachlers „blond, doof and probably from Essex“) oder „a Pollyanna“, die etwa dem deutschen „Gutmenschen“ entsprechen dürfte, im Englischen.

Wirkungsäquivalenz – auch beim Fluchen und Schimpfen gefragt!

Beim Übersetzen von Flüchen bleibt das Wichtigste natürlich die Wirkungsäquivalenz: Wie stark ist der Tabubruch im Original? Wie etabliert oder kreativ ist der Fluch, um den es geht? Wie ist das Sprachregister? Haben wir es mit Jugendsprache oder irgendeinem Soziolekt zu tun? Welche Rolle spielt die Phonetik im Original? Und wer ist der oder die Sprechende: Mann oder Frau, jung oder alt etc.? Entscheidend ist natürlich auch die Frage, was der Auftraggeber sich vorstellt und wer die Zielgruppe ist: Bei einem Jugendroman oder Kinderbuch wird sicher weniger geflucht als im Erwachsenenroman. Und auch der Zeitgeist spielt eine Rolle: Heute ist man beim Fluchen und Schimpfen deutlich offener und freier als beispielsweise noch in den 50er Jahren. Als Beispiel dienen hier zwei Übersetzungen des Romans Catcher in the Rye von J.D. Salinger: die ursprüngliche Übersetzung von Irene Muehlon in der Bearbeitung von Heinrich Böll von 1962 und die Neuübersetzung durch Eike Schönfeld von 2003. Ein spannender Übersetzungsvergleich!

Ein Überblick über die Sekundärliteratur zur Malediktologie – MÜF-Mitglieder finden eine Bibliographie in unserem geschützten Bereich – rundet den Abend ab, und wir können sicher sein: So viel – und so charmant – wurde im Literaturhaus München garantiert selten geflucht!

Tanja Handels

Fotos: privat